Verharzungen
Der Titel der Ausstellung Verharzungen nimmt auf ein gemeinsames Prinzip der künstlerischen Praxis von Yana Tsegay und Max Negrelli Bezug. Verharzen bezeichnet die Bildung von harzähnlichen Stoffen. Was ehedem fluide war, wird in dem Prozess der Verharzung fest. Dennoch bleibt der Wandel das Beständige und darauf verweist der Plural im Titel: Verharzungen. Auch wenn ein Objekt fest und abgeschlossen erscheint, erfährt es weiter stoffliche Veränderungen als auch neue Bedeutungen durch die Art, wie wir es betrachten und den Wert, den wir ihm beimessen.
Max Negrelli und Yana Tsegay beschäftigen sich mit der Entwicklung von Materialien, die sie teils zufällig aufgreifen, teils bewusst auswählen. Ihre künstlerische Arbeitsweise basiert auf Recherchen zu historischen Themen, wie dem Bernsteinzimmer, Rüstungen oder Heimatmuseen, die sie eigensinnig in Bildern, Objekten und Installationen verarbeiten. Sie sind an Eindeutigkeit nicht interessiert und schürfen nach dem, was von der Idee Kunst, wie sie von der Moderne einst formuliert wurde, im 21. Jahrhundert noch übrig ist und wie die Kunst neue Wege finden kann.
Dabei stellen ihre Kunstwerke mehr Fragen, als dass sie Antworten geben. Wie wirkt das Material? Welchen Einfluss nehmen die Kunstschaffenden? Welche Rolle spielt die Vergangenheit für die Herausbildung von Künstler :innenidentitäten heute? Wo knüpfen wir an und was lassen wir ins Reich des Vergessens absinken?
Yana Tsegay erschafft Installationen, die sich aus Malereien, Skulpturen oder gefundenen Objekten schöpfen, und stellt sie in historisch-fiktive Bezüge zur Höhlenmalerei oder dem Bernsteinzimmer. Diese Bezüge schaffen Referenzen zur Idee des Ursprungs von Kunst und fächern ein Spektrum an Fragen zu Institution, kultureller Aneignung und Künstler:innenidentität auf. Ihre künstlerische Arbeit wird dabei stets von der Frage begleitet, wie Malerei, besonders abstrakte Malerei, anonym, ohne Identität und ohne Fest- und Zuschreibungen existieren kann. Ihre Werke erkunden alltägliches Material und künstlerische Grenzen, um neue Deutungen anzuregen und anzumahnen. Gefundene Objekte, Fell aber auch Isomalt, Seife oder Bonbons, die zu abstrakten Skulpturen geschmolzen werden, erschaffen eine Ästhetik, die die Unterscheidung von Fake oder Echt, historisch wahr oder fiktiv unterläuft. Die gelingende Balance zwischen innerer Offenheit und schulterzuckender Infragestellung von Zuschreibungen führt zu einer Kunst, die - wie der Bernstein - manchmal klar und durchsichtig, manchmal opak und undurchdringlich ist. Ihre Werke werfen die Betrachter :innen zwischen Stoff, Form, Farbe und assoziativem Moment hin und her, und letztlich auf das eigene Bedürfnis nach Zuschreibung zurück.
Max Negrelli untersucht und bearbeitet Materialien hinsichtlich ihrer historischen und sozialen Dimension. Er greift Objekte aus dem historischen Strom des Vergessens auf, inszeniert sie als Gegenwartskunst und verändert so unseren Blick auf sie. Seine künstlerische Arbeit stellt sich als Suche dar, die ihre Umwelt fortwährend auf das Bleibende im Wandel scannt. Bauruinen, Streuobstwiesen, Rüstungen oder Pilzsporen auf alten Kunststoffen dienen ihm als Fundstücke an denen sich Fragen nach Zustand, Gegenwart, Konstanz und Identität entzünden. Die Materialien, die er in seinen Skulpturen verwendet, weisen Spuren von Verfall und Abnutzung auf. Seine Objekte fordern die Betrachter auf, sich mit der Vergänglichkeit der Zeit und der eigenen Position im steten Wandel auseinanderzusetzen. Die Freiheit des Künstlers wird als Minimalismus der Auswahl erneuert. Dieser erinnert an eine - von allem politischen Fragen gereinigte - existenzielle Freiheit, wie sie aus dem französischen Existenzialismus überliefert ist.
Für Verharzungen hat Max Negrelli das Video A New Design of an Alcohol Backpacker Stove (Berger Hang) konzipiert. Das Video ist eine Annäherung an die Peripherie Frankfurts, das mit Sehnsuchtsbildern von Heimat und Natur beginnt. Behutsam erkundet Negrelli wie die Aneignung von „Natur“ durch den Menschen zur Herausbildung von Identität und Heimat, aber auch zu einem neuen - spezifisch menschlichen - Verdacht gegenüber allem Fremden und Ungekannten führt.
KünstlerInnen Biografien:
Yana Tsegay (1991, Moskau) hat 2019 die Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main bei Gunter Reski absolviert. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Max Negrelli (1992, Leimen) hat 2019 an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule sein Studium bei Judith Hopf absolviert und studiert an der Goethe-Universität Frankfurt Philosophie und Kunstgeschichte. Er lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Fotos: Ivan Murzin
Kuratiert von KVTV, gefördert durch das Kulturamt Frankfurt a.M.