The White Hut und das Städel Museum

Ende Juni 2020 postete rantyluisa auf Instagram einen Text, in dem die Autorin das Städel Museum aufforderte, eine Malerei von Georg Herold namens "Ziegelneger“ abzuhängen. Das Bild zeigt eine Hetzmeute, aus der ein Ziegelstein auf eine dunkelhäutige Figur zufliegt, und eine grüne Ampel mit dem Kopf der angegriffenen Person. Diese Darstellung einer rassistischen Gewalttat ist 2015 als private Schenkung in die Sammlung des Städel Museums gelangt und seit diesem Jahr im Museum ausgestellt. Rantyluisa teilte dem Städel Museum mit, dass das Bild in ihren Augen keinen ästhetischen Wert habe, sondern eine schlechte gemachte Zurschaustellung von Gewalt gegen Schwarze Menschen sei.

In einer perfekten Welt hätten sich der Kurator der Ausstellung, Martin Engler und der Museumsdirektor, Philipp Demandt, entschuldigt, eingestanden, dass sie das Bild falsch gelesen haben und mit rantyluisa, beheardffm und weiteren InteressenvertreterInnen Schwarzer Menschen darüber gesprochen, wie nun mit dieser Gewaltdarstellung zu verfahren sei. Doch bekanntlich leben wir nicht in einer solchen Welt. Die Würde und die Gleichheit aller Menschen sind in Deutschland im Grundgesetz verankert, wer aber mit wem spricht, wird fein austariert. Die Herren des Städels verschanzen sich bis heute hinter dem Begriff der Kunstfreiheit, weisen jede Verfehlung von sich und das Bild hängt weiterhin im Museum.

The White Hut

Yana Tsegay vor "The White Hut": "Die Treppen zum Olymp der Kunst sind für alle unterschiedlich weit".

Einige Wochen später findet in einem halböffentlichen Garten die von KVTV kuratierte Ausstellung OADE #2 – Developing the Green Cube statt. Für die Ausstellung hat die Frankfurter Künstlerin Yana Tsegay das Werk The White Hut geschaffen. Tsegay ist die Gründerin und erste Direktorin von The White Hut. Gut fünfzig BesucherInnen sind zur Eröffnung gekommen und lauschen der eloquenten jungen Frau. Sie steht vor der neuen Institution und hält eine Rede, die in Wortwahl, Gestik und Mimik dem gewohnten Duktus von Eröffnungsreden im Kunstbetrieb entspricht. In ihrer Rede spricht Yana Tsegay über die ästhetische und gesellschaftliche Bedeutung von Kunstinstitutionen. Doch etwas ist anders. The White Hut ist in einer verlassenen Gartenhütte situiert und eine fiktive Institution. Die Fassade der Hütte ist baufällig, eine Tür fehlt und von der Institution geht ein penetranter Geruch nach Rauch und Barbecue aus. Er stammt von einem Lockmittel für Wildschweine, mit dem die Künstlerin eine große Zeichnung und die Worte „COLONIAL NOSTALGIA LATRINE“ auf die Hüttenwände gemalt hat. The White Hut ist eine ästhetische Intervention, die sich gegen strukturellen Rassismus im Kunstbetrieb und in der deutschen Gesellschaft positioniert.

Tsegay und KVTV stehen in der Tradition von Andrea Fraser und der Institutional Critique. Durch minimale Verschiebungen werden institutionelle Macht und abweisende Strukturen sichtbar und in Frage gestellt. Es tritt etwas zu Tage, das ohne diese Intervention verborgen geblieben wäre. Ohne ein Wort der Anklage entlarvt Tsegay die gute Miene des latenten Alltagsrassismus im Kunstbetrieb. Die Komplexität von The White Hut entzieht das Werk einer einfachen Deutung. The White Hut behandelt ein politisches Thema mit ästhetischen Mitteln. Vielleicht mag man es wehrhafte Kunst nennen. Der letzte Schritt der Erkenntnis bleibt den RezipientInnen überlassen, Tsegay vertraut auf die Kraft der ästhetischen Reflexion und das Werk gelingt. Die Freiheit der Kunst realisiert sich als Überwindung von Grenzen und Öffnung von neuen Denk- und Erfahrungsräumen. Mit den Mitteln der Kunst tritt Tsegay der Unfreiheit und dem gesellschaftlichen Mangel an Moral entgegen, ohne selbst politisch zu sein.

Im Vorfeld der Eröffnung haben Yana Tsegay und KVTV die Verantwortlichen im Städel Museum sowie andere Kulturschaffende und PolitikerInnen der Stadt Frankfurt in einem persönlichen Anschreiben zur Eröffnung von The White Hut eingeladen, um mit ihnen das weitere Vorgehen in der Sache „Ziegeln----" zu besprechen. Allein der kulturpolitische Sprecher der CDU Frankfurt ist gekommen. Nach der Eröffnungsrede verteidigt er den „Ziegeln----" im Namen der Kunstfreiheit. Man müsse Provokationen aushalten, so der Tenor. Verschiedene Perspektiven finden Gehör, ein Gespräch beginnt und für einen kurzen Moment begegnet man sich auf Augenhöhe. The White Hut bricht etwas auf und der CDU-Stadtverordnete erklärt sich bereit, im Namen von Yana Tsegay und KVTV eine erneute Einladung zu einem weiterführenden Diskurs an die Museumsdirektion heranzutragen. Doch wenige Wochen später scheitert die zweite Annäherung. Das Städel Museum schlägt auch die persönlich übermittelte Bitte um ein Gespräch aus. KVTV und Yana Tsegay werden vom Städel nicht anerkannt. Man verweigert die Auseinandersetzung mit ihren Fragen, Anliegen und Ideen. Die Türen der Institution bleiben zu, niemand kommt heraus, niemand kommt hinein. Das Museum begnügt sich mit halbherzigen Verlautbarungen, man würde das Thema intern behandeln. Die Museumsdirektion hat weder die Dringlichkeit der Problematik erkannt noch scheint sie mit dem Frankfurter Präzedenzfall in Sachen Kunst und Moral vertraut zu sein.

Der Müll, die Stadt und der Tod

Im Jahr 1985 sollte das Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder im Frankfurter Schauspielhaus aufgeführt werden. Gegen die Aufführung formierte sich massiver Widerstand aus der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Der Vorwurf des Antisemitismus wurde erhoben und die Auseinandersetzung gipfelte in einer Besetzung der Premierenbühne. Die Besetzer – unter ihnen Ignatz Bubis und Michel Friedmann – entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift „subventionierter Antisemitismus“. Auf der Bühne gab es lange Diskussionen und der Premierenabend endete ohne Aufführung. Auch in den folgenden Wochen blieb der moralische, politische und gesellschaftliche Druck immens und weitere Aufführungsversuche scheiterten abermals am Widerstand jüdischer BürgerInnen. Schließlich setzte der damalige Intendant Gunther Rühle das Stück ab.

Stellen wir uns nun kurz vor, das Bild im Städel hieße nicht „Ziegeln-----“, sondern „Ziegeljude“. Anstelle der dunkelhäutigen Figur wäre eine hellhäutiger und buckeliger Mensch zu sehen. Er hätte einen Bart, eine große Nase und bösartig funkelnde Augen. Auch auf sein Gesicht würde ein Ziegelstein zufliegen. Damit die Sache klar ist, hätte der Künstler einen Davidstern in die grüne Ampel gemalt.

Es ist evident, dass das Städel ein solches Bild nicht ausstellen würde. Es wäre – hoffentlich – nicht mal als Schenkung angenommen worden. Sollte ein antisemitisches Bild dennoch ins Städel gelangen, reicht der kurze Blick in die jüngere Frankfurter Geschichte, um zu erahnen, mit welcher Macht und Entschlossenheit jüdische BürgerInnen gegen eine solche Darstellung vorgehen würden. Antisemitische Gewalt wird also glücklicherweise kaum im Städel ausgestellt werden. Aber warum gibt es dort rassistische Gewalt zu sehen? Warum verfährt man mit einer rassistischen Gewaltdarstellung anders, als man es mit einer antisemitischen machen würde? Wird Menschenhass im Städel Museum moralisch differenziert betrachtet? Oder kennen die Herren des Städel Museums gar einen ästhetischen Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus?

Damals wie heute fühlt sich eine Gruppe von Menschen durch ein künstlerisches Werk in ihrer Würde verletzt und verweigert dem Werk im Namen der Moral die ästhetische Legitimation und Anerkennung. Der Sachverhalt ist zum Verwechseln ähnlich. Der Unterschied besteht darin, dass den Schwarzen Menschen in Frankfurt die politische Einheit und Kampfbereitschaft sowie das ökonomische und soziale Kapital fehlen, um das Städel Museum zu besetzen oder das Bild eigenhändig abzuhängen. Während es der Jüdischen Gemeinde gelang, im Namen der Moral politischen Druck zu erzeugen und das Theaterstück absetzen zu lassen, wird das moralische Anliegen von rantyluisa und anderer Schwarzer Menschen nicht anerkannt. Ihre Macht reicht nicht aus, um den Frankfurter Kunstbetrieb zur Anerkennung ihrer Position zu zwingen.

Spätestens an dieser Stelle darf an Adorno erinnert werden. Bei aller Hingabe an die ästhetische Reflexion, die ein gelungenes Kunstwerk hervorzurufen vermag, behielt er stets im Bewusstsein, dass ein Kunstwerk immer auch gemacht, immer auch ein fait social ist. Die Freiheit der Kunst ist – mag sie auch gesetzlich manifest sein – faktisch nie vollständig umgesetzt, sondern sie muss ideal bleiben. Sie kann nur zusammen mit anderen Werten, besonders mit der Idee der Gleichheit verwirklicht werden. So lange gravierende soziale und ökonomische Ungleichheiten unter den Menschen bestehen, sollte es das Anliegen des Städel Museums sein, den offenkundigen Hindernissen auf dem Weg zu einer freien und gleichen Gesellschaft durch transparente und großzügige Stipendien- und Förderprogramme entgegenzutreten. Nicht aber die Darstellung einer rassistischen Gewalttat im Namen der Freiheit der Kunst zu verteidigen.

Die einzige Möglichkeit für das Städel Museum den Vorwurf des latenten Rassismus aus der Welt zu schaffen, bestünde darin, einen vernünftigen oder einen ästhetischen Grund vorzubringen, warum ein Bild namens „Ziegeljude“ untragbar wäre, ein Bild namens „Ziegeln----“ aber als Ausdruck der Kunstfreiheit legitimiert werden kann. Da dies nur ein rassistischer Grund und damit kein vernünftiger oder ästhetischer Grund sein könnte, muss das Bild abgehängt und verkauft werden. Es ist Ausdruck von Ungleichheit und Unfreiheit in der Kunst. So lange es in der Sammlung des Städels verbleibt, gilt es, gemeinsam gegen das Bild zu streiten.

Text: Leon Joskowitz für Textland, 2020

Fotos: Ivan Murzin