The Golden Punch
Im November 2018 fand in einer privaten Wohnung im Stadtteil Sachsenhausen in Frankfurt am Main die Ausstellung The Golden Punch statt. Die 5-tägige Schau zeigte zeitgenössische Kunstwerke von 11 Künstler :innen aus Deutschland. Wohn- und Schlafräume wurden ebenso zu einer temporären Galerie, wie das Badezimmer und der Flur. In der intimen Atmosphäre des Privaten, umgeben von Alltagsgegenständen, die an den ursprünglichen Zweck des Ortes erinnern, traten Raum für Raum Zeichnungen, abstrakte und figurative Werke mit Videoarbeiten sowie Installationen in einen Dialog. Die ortsspezifische Thematik einer Wohnungsausstellung und dessen Relevanz im Jahre 2018 standen hierbei ebenso im Vordergrund, wie die einzelnen von KVTV ausgewählten Positionen. Fragen nach der eignen Identität und Sexualität im medialen Zeitalter, die Wahrnehmung des menschlichen Körpers und die Idee des Komforts, der humorvolle Umgang mit der Realität sowie die Weiterführung des Malereibegriffs im 21. Jahrhundert beschäftigten die ausgestellten Künstler :innen.
Im Eingangsbereich der Wohnung wurden La Nuit Espagnole von der Künsterin Giulietta Ockenfuß und Better Living Subdivision (BALITA)- ein Digital Painting von Nicholas Grafia, gezeigt. Das 2018 von Ockenfuß gemalte Aquarell verweist auf die gleichnamige Arbeit von Francis Picabia von 1922. Bereits 1972 inspirierte diese den Maler und ehemaligen Besitzer von La Nuit Espagnole William Copley das Motiv in einem eigenen Bild aufzugreifen. Während bei Picabia und Copley Mann und Frau, schwarz und weiß, Motiv und Form der Bilder bestimmen, öffnet Ockenfuß die rechte Bildhälfte und erschafft Nahaufnahmen der schemenhaften Figuren, die abseits des Miteinanders eigenständige Geschichten erzählen.
Die ausgestellten Arbeiten von Nicholas Grafia umfassen insgesamt drei Digital Paintings, die in ihren Präsentationsformen variieren. In grellen Farben gemalt, entstanden diese zunächst auf einem Pad und wurden nachträglich entweder auf PVC-Baustoffplane gedruckt oder auf eine Holzplatte mit Acrylfarbe übertragen. Better Living Subdivision (BALITA) zeigt einen mutmaßlich männlichen Torso, in einer körperbetonten Badehose, vor einem Pool mit Seeschlange stehend. Grafia wirft in dieser Arbeit einen kritischen Blick auf Maskulinität und demaskiert unsere nach wie vor gängigen Klischees von Männlichkeit im 21. Jahrhundert.
Im Durchgangszimmer treffen die überzeichneten Darstellungen von Mikołaj Sobczak auf die teils skizzenhaft angedeuteten Abbildungen von Carla Luisa Reuter. Mikołaj Sobczak zeigt in seinen drei Aquarellzeichnungen – Walking Lesson, Witch Trial und Perfume Exorcism – Detailaufnahmen von bizarren Szenerien, die sich in einem Gerichtssaal abspielen. Figuren mit vereinzelt grotesken Gesichtern und Körpern wie überlangen, spitzen Fingernägeln und einem Entenkopf begegnen sich. Carla Luisa Reuter experimentiert in Stalker (Summer) mit den unterschiedlichsten Materialien wie Kreide, Ölfarben und Acryl auf einer Leinwand. Die Künstlerin zeigt in ihrer Arbeit in einem bühnenartigen Aufbau eine männliche und weibliche Figur, die sich in verschiedenen Szenen wiederfinden. Moritz Grimm geht mit seiner Arbeit Freiheit liegt nicht auf der Straße (2018) der Frage nach der Funktionalität und dem Zweck von Objekten nach. Die Arbeit mutet an wie ein normaler Vogelkäfig, jedoch wurde dieser sowohl oben und unten offen gelassen und kann nicht mehr seinem eigentlichen Zweck – Vögel am freien Fliegen hindern – erfüllen.
In der Reihe Dissolved By Light widmet sich Deborah Nerlich dem Thema der Haltbarkeit und Lebensdauer von Malerei. Dabei experimentiert die Künstlerin mit Maltechniken, die Bilder erschaffen, dessen Rezeption für den Zuschauer oder den Besitzer temporär bleibt. Die auf der Leinwand violett leuchtenden Striche werden mit Hilfe dem aus dem Tätowierbereich stammenden Matritzenpapier aufgetragen und haben eine Wirkkraft von unbestimmter Dauer. Wie der Titel bereits in der Vergangenheitsform ankündigt, wird sich die Farbe durch den Lichteinfall auflösen. Auf der unbehandelten Leinwand bleiben nach dieser Reaktion nur noch Graphitspuren übrig, die für die violetten Striche als Skizze zum Übermalen dienten.
Die Tiffany-Glasarbeit des Kollektivs Die Römischen Votzen hinterlässt hingegen sicher ihre Spuren. Die ins Glas gravierten und nachträglich mit Tusche gefärbten Zeichnungen zeigen, wie der im Bild sichtbare Titel der Arbeit, Sauna ankündigt, eine weibliche „Gang“ in der Sauna. Dabei steht die “Votze”, das weibliche Geschlecht im Vordergrund. Diese wird dem Zuschauer wiederholt in einer selbstbewussten und aktiven Rolle präsentiert. Breitbeinig saunierend, pinkelnd im Duschbereich oder auf dem Kopf einer angebundenen Person sitzend und gleichzeitig der künstlerischen Praxis des Kollektivs entsprechend auch singend.
Die sich in den Spiegelstücken der Tiffany-Glasarbeit Sauna reflektierende Zeichnung Girls From out of World von Moritz Grimm widmet sich ebenso den unheimlichen, aber auch erregenden Aktivitäten einer weiblichen Gruppe. In einer sexuellen Vergeltungsmission lassen sich außerirdische Amazonen an den hiesigen Bewohnern aus. Während ein Mann bereits aufgespießt auf einem Pfahl hängt, wird einem anderen noch zugesetzt. Trotz seiner Angst scheint dieser an der Hinrichtung auch eine gewisse Lust zu verspüren, zumindest deutet sein dem Himmel zugewandtes Geschlecht dies dem Betrachter an.
Die Videoarbeit Is a whip nessecary von Theresa Weisheit nimmt den Betrachter mit auf eine Meditation über die Frage von Kontrolle und Kontrollverlust. Das Pferd und die im Titel angesprochene Peitsche stehen stellvertretend für das anregende Ich, das im zweiten Teil des Videos einen abrutschenden Anstieg erklimmen will. In einer Synthese findet das Suchende Individuum zum Schluss einen versöhnenden Moment im Wasser.
Das Badezimmer haben zwei Künstlerinnen – Anna Hofmann und Ksenija Jovišević – in Besitz genommen. Ksenija Jovišević zeigt die Arbeit mit dem Titel Tourist Romantic (Nuit de Folie), ein Duschvorhang, der hier seiner eigentlichen Funktion nach präsentiert wird. Das Motiv, ein romantischer Sonnenuntergang am Strand umgeben von Palmen, ruft beim Betrachter bestimmte Gedanken und eine Stimmung hervor, die mit dem klischeehaften Bild vom “Paradies” assoziiert werden soll. In einem Wandschrank gegenüber positioniert Anna Hofmann neben Toilettenrollen, die auf eine menschliche Existenz in der Wohnung verweisen, ihre kleinteiligen Tonskulpturen. Die Künstlerin formt Alltagsgegenstände wie Zigaretten, Schokolade, Zigarettenschachteln oder Pillen nach, die der Betrachter aus einem täglichen Gebrauch kennt. Die mit Farben und Bootslack bemalten Followers, so der Titel der Skulpturen, rahmen die Illustration – Grande Probleme, die an der Schrankrückwand steht – ein.
Im letzten Raum der Ausstellung dem Schlafzimmer befindet sich eine weitere Arbeit von Ksenija Jovišević MONT Painting No6. Eine Daunenjacke, die auf einen Holzrahmen aufgespannt wurde und hier über einem Bett – das eine ähnliche Struktur in der Rahmung aufweist – präsentiert wird. Die Künstlerin untersucht dabei das Statussymbol von MONT-Jacken, die in den 1990er Jahren in Serbien sehr populär waren und heutzutage wieder in die Pop-Kultur zurückkommen. In ihrer beiden Arbeiten Tourist Romantic (Nuit de Folie) und MONT Painting No6 geht die Künstlerin der Frage nach einem heutigen Begriff von Malerei nach.
„Aus der Flucht eines Hotelflurs nähern sich, umschauend, tastend, dem Betrachter zwei Personen. Sich ihrer Namen unsicher, steht ihr Entschluss doch fest: Es gilt sich im genormten Komfort der Suite den Wagnissen der Reflexion und des symbolischen Spiels hinzugeben. 48 Stunden“
so ein Zitat aus der Selbstbeschreibung des Videos Sane & Sanitized von Catherina Cramer. Rätselhaft und spielerisch bleiben auch die teils unheimlichen, teils humorvollen Szenen des 14-minütigen Videos, das den Zuschauer durch ästhetische und bizarre Einfälle und seine Dramaturgie für das Spiel der Protagonisten einzunehmen versteht.
Kuratiert von KVTV, gefördert durch das Kulturamt Frankfurt a.M.