Als Koi Pond wird ein Teich zur Züchtung und Haltung von japanischen Zuchtkarpfen bezeichnet. Kois sind Zierfische und bedürfen einer besonderen Pflege und Umgebung, um zu schönen und wertvollen Fischen zu werden. Das Ziel der Koihaltung ist es, einen Koi zum richtigen Zeitpunkt fertigzustellen und ihn als Prestigeobjekt an Wettbewerben teilnehmen zu lassen oder zu verkaufen. In der Ausstellung „Koi Pond“ stellt KVTV elf Künstler:innen aus und vor, die sich durch eigenständige, subversive und experimentelle Positionen auszeichnen. Alle teilnehmenden Kunstschaffenden eint dabei das Interesse, Ausstellungsräume zu bespielen, deren Strukturen nicht klar definiert sind und die sich ebenfalls in steter Veränderung befinden. In den Kellerräumen des ATELIERFRANKFURT e.V. werden vom 29. April bis zum 10. Juni künstlerische Arbeiten verschiedener Medien der Künstler:innen , Stefan Cantante, Catherina Cramer, Aneta Kajzer, Emilia Neumann, Brenda Lien, Nadia Perlov, Giulietta Ockenfuß, Felix Pötzsch und Yana Tsegay zu sehen sein. Darüber hinaus findet im Rahmen der Ausstellung die multimediale real live-Performance Songs of Cyborgoisie des Künstler:innen-Duos BBB_ (Alla Popp und Alex Traka) in der Pop-Up Galerie Umweg by PUNKT statt.
Stefan Cantante verwendet für seine jüngsten Textilarbeiten die Transfer-Technik mit Inkjet-Druck, die vor allem Anwendung im Hobbybereich findet. Die auf Baumwolle gedruckten Arbeiten entstanden im letzten Jahr aus der Notwendigkeit heraus, Kunst unabhängig von Werkstätten, auf begrenztem Raum, in den eigenen vier Wänden anzufertigen. Bei Cantante, der während der andauernden Pandemie viel Zeit auf TikTok verbrachte, entstand so auch die Idee mit open-source Archiven und Creative Commons zu arbeiten. Diesen verfügbaren Materialien gibt der Künstler in seinen collagenartigen Werken einen Anschein diffuser Symboliken, die gleichermaßen auf die Lacan’sche Idee des Unbewussten, aber auch die 68-er Revolte.
Der Digitalprint Hypersea (2021) von Catherina Cramer erinnert an ein Storyboard. Die dargestellten Figuren sind teilweise aus dem Kosmos des Filmischen Projekts Unleash the Beast (ongoing) entnommen. Die mehrteilige Serie wurde 2020 in Zusammenarbeit mit Giulietta Ockenfuss abgedreht. „Koi_Pond“ zeigt das erste Kapitel The Water Ape. Es beschäftigt sich mit Fragen der Herkunft und Identität. In der fiktionalen Dokumentation folgt man der Hauptfigur, einem weiblichen Wasseraffen. Diese Figur verkörpert eine Erzählung über die Entwicklung der Menschheit, die sich von Erzählungen unterscheidet, die in der westlichen Gesellschaft als Wahrhaftigkeit gesetzt werden, wie die darwinistische oder die christliche Erzählung von Adam und Eva. Weitere Kapitel werden nach und nach herausgebracht.
Aneta Kajzer zeigt vier Malereien, die sie für „Koi_Pond“ nicht nur ausgewählt, sondern teils auch neu angefertigt hat. Sie bestechen durch brillante Farbigkeit und Präsenz, die sie geradezu herausheben, aus den Wänden der Kellerräume des ATELIERFRANKFURT. Mit technischer Finesse und intuitivem Duktus schafft die Malerin eigene Gestaltwelten zwischen Figuration und Abstraktion, die deutungsoffen zum Eintauchen einladen. Ihr künstlerisches Werk fand seinen Ursprung in Tuschezeichnungen mit reduziertem Farbauftrag. Anfänglich fand Kajzer es zu tradiert auf Leinwand zu malen, konnte sich über ihren experimentellen Zugang jedoch schnell eine eigene Position im Malereidiskurs erarbeiten, ohne sich dabei auf ein dezidiertes Format zu beschränken.
Die Videoinstallation von Brenda Lien Work in Progress (2020 – ongoing) schließt an den Diplomfilm der Künstlerin an. In First Work Than Play (2020) behandelt Brenda Lien die Themen „hustle culture“ und Burnout vor dem Hintergrund der kreativen Freelance-Branche, die im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie einen erheblichen Einbruch erlitt. Als fiktiver Arbeitsplatz inszeniert, mimt die Arbeit das „home office“ der Künstlerin selbst, die auf einer Metaebene das Schicksal ihrer filmischen Protagonistin teilt. So taucht man aus Sicht der Regisseurin in den Prozess des Filmemachens ein. Gleichzeitig verweist Liens Arbeit auf die gegenwärtige Problematik des Ausstellens, wenn Vorführungsstätten geschlossen bleiben und die Kunst- und Kulturschaffenden überwiegend in Isolation arbeiten ohne Austausch und Interaktion mit Publikum oder bewussten Rezipient:innen.
Bei Emilia Neumann muss der Entstehungsprozess von Elektra (2021) mindestens als ebenbürtiger Teil ihrer künstlerischen Praxis verstanden werden, wie das Endprodukt. Die verformten Gipsplastiken von Neumann, die sie aus Silikonabgüssen meist großformatiger Gebrauchsgegenstände gewinnt, sind ihrer Materialität nach vielschichtige Objekte. Ihre Details und Farbigkeit muten organisch an, sodass erst im suchenden und immer neuen Betrachten der Arbeiten ein Gefühl für ihre Beschaffenheit entsteht. Für „Koi_Pond“ nimmt Neumann einen Aprilia-Roller als Ausgang der Dekonstruktion und gestaltet ihn in intensiven, erdigen Tönen, die etwa an Kois oder Feuer erinnern könnten. Sie setzt sich von der sonst pastelligen Farbigkeit ihrer Plastiken zwar ab, diese stehen ihrer jüngsten Arbeit jedoch an Dynamik in Nichts nach.
Die Gemälde und Zeichnungen von Giulietta Ockenfuß erzählen in grellen Farben dichte Geschichten über Protagonist:innen, die humorvoll normierten Darstellungsmodi weiblicher und männlicher Figuren unterlaufen. Bei den Figuren in den Arbeiten Brisa Marina (2021) und Almond Blossom (Monoculture) (2020), handelt es sich um Schwellenwesen zwischen Mensch und Tier oder Mensch und Pflanze. Die Kompositionen basieren auf Skizzen, die im Zusammenhang mit dem Dreh ihrer ersten filmischen Arbeit Unleash the Beast (ongoing), einer mehrteiligen Videoserie stehen, welche in Zusammenarbeit mit Catherina Cramer entstand. Unleash the Beast verhandelt die Formate von Fernseh Dokumentation und Spielfilm mit dem Element Wasser als Thema. Das erste Kapitel erzählt von einer Wasseräffin, deren Lebensweg die feministisch geprägte Evolutionsgeschichte imaginiert.
Nadia Perlov forciert mit der filmischen Arbeit Jardin J’adore (2020) eine Auseinandersetzung mit Räumlichkeit und Verräumlichung, die über bloß topographische Merkmale hinaus, gesellschaftliche Implikationen trägt. Sie stellt die Frage nach den Machtstrukturen, die Räumen inhärent sind. Referenzen, etwa auf den Barockgarten oder das kubische Interior, das nicht nur im Video auftaucht, sondern auch als Teil der Präsentation des Films dient, veranschaulichen die Künstlichkeit solcher Orte und verweisen dabei ex negativo auf das vermeintlich natürlich Gewachsene. Perlov stellt im gleichen Maße die Frage nach Identität und räumlicher Zugehörigkeit. So beschäftigt die in Tel-Aviv geborene Künstlerin in dieser wie auch in vergangenen Arbeiten, der nicht nur territoriale, sondern auch religiöse Konflikt im Nahen Osten.
Felix Pötzsch beschäftigt sich in der Werkserie Houses, Stargate, Portals (2020 – 21) mit der Frage nach dem Ursprung von Kultur. Besonders die Sprache der Architektur, ihre Gestaltungselemente, die Ornamente und Details, stehen im Fokus seiner zeichnerischen Arbeit. Bauwerke haben, sofern sie nicht gänzlich im Prinzip „form follows function“ verortet sind, (wobei selbst dieses Credo nur ambivalent zu denken ist) topographischen Spezifika: Schnörkel und Dekor, die über reine Zweckmäßigkeit hinaus gehen. Pötzsch treibt diese gestaltete Singularität bis ins Absurde, lässt gar den einzelnen Schnörkel selbst Haus werden und adressiert so konkret die Wahrnehmung und Rezeption von bebautem Raum. Für „Koi_Pond“ entwickelte er eine installative Präsentationsform aus gefundenen Materialien, die seine Zeichnungen in einen tatsächlich räumlichen Kontext setzen und so das Artefaktartige und Materielle seiner Werke zum Vorschein bringt.
Die großformatige Malerei-Installation der Künstlerin Yana Tsegay bewegt sich bewusst zwischen den Medienformen der Malerei und Skulptur: Tonfüße, inspiriert von antiken Möbeln und Körpern, sowie Stöcke und Säulen, stützen die bemalten Leinwände Tsegays, die so als räumliche Anordnung zum Verweilen einladen und doch nicht dazu eignen, es sich in der vermeintlichen „Lounge“ gemütlich zu machen. Culture Lounge (2021) ist ein “Nicht-Ort”, der sich als Verweis auf kulturellen Austausch, jedoch nicht nur in der Lesart einer postkolonialen Kritik verstehen lässt. Suggestiv gestaltet Tsegay einen Raum zum Nachdenken, in dem sich die Leinwände gegenüberstehen und miteinander ästhetische Spuren, Ursprünge, Deutungen und Setzungen von Kultur verhandeln, diskutieren und diese neu verknüpfen, dabei dennoch ganz im Rahmen der künstlerische Intervention verbleiben.
Im Rahmen der Ausstellung Koi_Pond präsentiert das Künstler:innen Duo BBB (Alla Popp und Alex Traka) ihre jüngste Arbeit Songs of Cyborgeoisie (2020), die als Hybrid Veranstaltung zwischen Konzert-Event und Visuals angedacht war und zur Premiere 2020 pandemiebedingt nur online stattfand. Ein tatsächliches Konzert in Zeiten der globalen Pandemie zu organisieren, scheint schwieriger als die Umsetzung experimenteller und intermedialer Veranstaltungsformate. Allein dadurch wird es der Form nach zu etwas Besonderem, in dessen Durchführung eine Art Melancholie des vergangenen und noch anhaltenden Zustands von social distancing und Lockdown mitschwingt. Nun wird BBB_ Songs of Cyborgeoisie (2020) als real-live-performance in dem vitrinenhaften Schaufenster der Pop-Up Galerie Umweg by PUNKT in Frankfurt am 5. Juni präsentieren.
Text: Naomi Rado
Öffnungszeiten:
Di – Fr: 11-18 Uhr, Sa: 15-18 Uhr (nur nach Voranmeldung bis 17 Uhr am Vortag)
Ausstellungsdauer: 29. April bis 10. Juni
Besuch nur nach Voranmeldung Anmeldung via:
Mail: kontakt@atelierfrankfurt.de
TEL.: +49.69.7430 3771
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Dieser kann über den KVTV shop erworben werden.
Die Ausstellung Koi_Pond wird gefördert durch Stiftung Kunstfonds, Kulturamt Frankfurt, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst