An einem sonnigen Herbsttag begebe ich mich auf einen Lidl-Parkplatz — für ein Gespräch mit Felix Pötzsch. Als der Künstler den Treffpunkt vorab verkündet, bin ich irritiert. Soll das ein Scherz sein? Oder habe ich die Umfunktionierung von Parkplätzen vor Discountern zu einem gängigen Gesprächsort für Interviews verpasst?
Auf einer unbequemen Metall-Gitter-Treppe, die zu den Bahngleisen führt, finden wir Platz und können von dort aus das Parkplatzareal gut überschauen. Junge Bäume und pragmatische Hecken umranden die sonntäglich-leere Asphaltfläche. Von Zeit zu Zeit rasen Züge an uns vorbei und an der angrenzenden Tankstelle werden bei cooler Musik Autos geputzt. Als wir unser Gespräch beginnen, wird mir klar, dass die Wahl des Ortes kein Prank ist, sondern in einem engen Zusammenhang mit der Arbeitsweise des Künstlers steht. Felix interessiert sich für das Einfache, das Unsichtbare und das Gewöhnliche, was uns täglich umgibt und dafür, wie sich die Wahrnehmung dessen durch eine nüchterne Betrachtung und plakative Darstellung verändert und das Groteske im Alltäglichen zum Vorschein bringen kann. Was sagt zum Beispiel etwas so Banales wie ein Parkplatz über unsere Gesellschaft aus? Was sagt der Parkplatz zu denjenigen, die sich Tag für Tag dorthin begeben, um eine der trivialsten Aktivitäten — das Einkaufen — und das damit verbundene Grundbedürfnis der Nahrungsversorgung zu verrichten. Und ist der Parkplatz bloß zufällig mit dem Park verwandt? Schließlich wachsen hier ebenfalls Bäume und offensichtlich kann auf einem Parkplatz eine Verabredung stattfinden. Der Unterschied ist wohl, dass dieser Platz ausschließlich für ruhende Autos erschaffen wurde und Menschen sich im Park und auf dem Parkplatz treffen. Ist es aber nicht absurd festzustellen, was uns im Alltag nicht sonderlich auffällt, nämlich wie viel Raum in der Stadt dafür genutzt wird, um Automobile abzustellen?
Solche nüchternen Beobachtungen dienen Felix als Inspirationsquellen. Die daraus hervorgehenden Kunstwerke versteifen sich jedoch nicht auf ein immer wiederkehrendes Medium. Es kann eine Fotoserie, eine performative Lesung, eine Installation, Video, Malerei oder Zeichnung sein. Es stellt sich eher die Frage, welche Darstellungsform für die aktuelle Idee in Frage kommt und diese am besten zum Ausdruck bringt. So wurden zum Beispiel Beobachtungen, Gefühle und Gedanken im Zusammenhang mit der erlebten Architektur in Mexiko, Athen und hierzulande in rund 60 mehrfarbige und leichtgewichtige Din A4 Papiere mit Mitteln wie Aquarell- Acrylfarben und Buntstiften in Zeichnungen übersetzt. In dieser Serie, die den Namen Houses, Stargates, Portals trägt, setzt sich Felix mit dem Wesen von Gebäuden auseinander. Wie wirkt sich das Existieren eines Hauses auf die Umgebung aus und welche Kräfteverhältnisse und Sprachrohre kommen darin zum Vorschein? Welche Rolle spielt dabei deren Architektur und Gestaltung? Und was bedeutet es eine Beziehung zu den Bauten einzugehen. Für Felix sind Gebäude nicht vordergründig auf deren Funktion reduziert und es ist keine bloße Zusammensetzung von Baumaterialien und Gestaltungsideen. Er betrachtet sie eher als Organismen, die uns umgeben und den Menschen als einen Wirt bedürfen. Ein Haus ist zwar kein Lebewesen, doch wirkt es auf den Menschen, der sich darin aufhält aufgrund von seiner Beschaffenheit und umgekehrt. Der Mensch prägt es und erhält dieses durch seine Gegenwart am Leben oder bringt es durch seine Abwesenheit zum Erliegen. „Das Haus als Gedankenort des Menschen selbst. Unterkonstruktion, Struktur, Dachwerk, Gemäuer, Fassade. Ich sehe die Häuser als eine Art Portal oder Gedankenkonstrukt.“, so Felix.
Die aus diesen Gedanken entstandenen Zeichnungen sind Vorschläge — eine Art Architekturentwürfe für Häuser, mit der Idee, den Zustand, in dem das Haus als Organismus sichtbar wird festzuhalten. Dabei spielt das Ornament eine wichtige Rolle. Nüchtern betrachtet, sei es für den Künstler an sich absurd und unlogisch ein Haus zu verzieren, denn ein viereckiger Bau würde die Funktion eines Hauses ebenfalls erfüllen. Gleichzeitig ist Dekoration, wie Poesie, der Grundstein für Kultur, laut Felix. Auf Grundlage seines Nachdenkens über Ornamente als dekorative Geste und mittels seiner zeichnerischen Entwürfe möchte Felix neue Häuser erschaffen. Dabei arbeitet er mit Mustern und stark vergrößerten Elementen, um diese in einen absurden Zusammenhang zur Funktionalität der Häuser zu setzen. In diesem Zusammenhang spricht der Künstler davon, grotesk zu malen. Er meint damit, dass bestimmte Elemente übertrieben dargestellt ins Absurde und Humorvolle geführt werden. Elemente aus der Hochkultur werden mit denen der „Low Culture“ zusammengebracht, um am Ende alles zu durchmischen und neue Häuserideen zu erschaffen. „Man kann ja auch nicht einfach so mal eben Häuser bauen“, stellt Felix realistisch fest. Und so werden die bei der Betrachtung der Außenwelt entstehenden Gedanken zu Häusern — jedes gezeichnete Haus verkörpert einen Gedanken.
Die Zeichnungen erinnern mich an Playmobil-Burgen, mit seinen Kanonen, Brücken und Fallschlössern — Häuser, die ihrer eigentlichen Funktion entledigt sind. Manchmal sieht ein Haus wie ein vergrößertes Schnörkeldetail aus, auf dem kleinen Papierformat wirkt es trotzdem mächtig und wuchtig. Wenn es schon Ornamente und Verzierungen an den Bauten gibt, warum dann nicht gleich hochskaliert in Form von einem ganzen Haus? Die Häuser haben teilweise Füße, Arme und Geschlechtsteile und ich frage mich, was passieren würde wenn diese Skizzen tatsächlich als Bauten errichtet werden. Haben die Skizzen für das Teatre-Museu Dalí oder die des Architekten Gaudí auch anfänglich so ausgesehen? Für den „guten“ und erhabenen Geschmack mag es wahrscheinlich kitschig und bizarr vorkommen, aber schaden würden solche Häuser unserer alltäglichen und funktionalen Wahrnehmung bestimmt nicht. Und Felix sagt: “aber weisst Du, ist unsere Realität nicht eh schon sehr komisch?”
Text: Sonja Yakovleva
Der Katalog zu der Ausstellung kann via KVTV shop erworben werden.