Was ist eigentlich aus Schwesta Ewa nach den ganzen Anklagen, Schönheits OP´s, Mutterschaft und dem Einzug in den Knast geworden? Diese Frage stellte ich mir, nachdem ich mich über Capital Bra´s und XATAR´s zweites Standbein in der Tiefkühlbranche köstlich amüsieren musste. Pizza Gangsterella vs. Mini Lahmacun und Cheese Köfte! Wer ist der krasseste Deutschrapper im Tiefkühlregal? Von Ewa fand ich im Netz zunächst einmal die Schwesta Ewa Aaliyah (LTD BOX) inklusive CD, Bademantel, Kalender, Schlüsselanhänger mit Handschellenmotiv, Poster, Sticker und Instrumentals. 99 EURO war mir dann aber doch etwas zu teuer, auch wenn ich den Bademantel eigentlich ziemlich geil finde.

Als nächstes entdecke ich Ewa´s Autobiografie „Enthüllungen, das Leben fickt am Härtesten“ (erschienen am 19. August 2019 im Riva-Verlag). Anscheinend lebte ich bisher hinter dem Mond und hatte die Buchpremiere offensichtlich verpasst. Es ist Anfang 2021 — Corona hält sich hartnäckig und das Filmangebot zum Abschalten, mit seinen vor-Corona-Lifestyles, den geselligen Parties- und Massen-Szenerien ist doppelt deprimierend. Vielleicht mal zur Abwechslung ein Buch lesen?

An einem Morgen, an welchem ich mich zuerst über die vom Himmel auf die weißen Dächer tanzenden Schneeflocken freue, die wenig später aber zum ekelhaften Brei mutieren und keineswegs zum Rausgehen ermuntern, freue ich mich über den Paketboten, der mir die „Enthüllungen“ von Schwesta Ewa bringt. Gegen 16 Uhr als es schon dämmert bin ich mit der Lektüre  fertig und muss sagen, dass ich schon lange nicht mehr ein Buch so schnell gefressen habe wie dieses. 

Das Buch liest sich wie ein tragischer Film, der sicherlich kein Happy End haben wird. Darin beschreibt sie ihren Werdegang bis zu ihrer Verurteilung. Dieser ist geprägt von Angst, Hass, Gewalt, Ausgrenzung, Geldnot, Ausweglosigkeit und Strategien des Aufstieges, die wiederrum neue Verstrickungen und Sackgassen mit sich bringen. Die Flucht aus Polen, weil der Vater in einer kriminellen Bande involviert ist, die Ankunft in Deutschland mit Übernachtungen im Park auf Pappkartons, das Einkehren im Frauenhaus und der entgegenschmetternde Hass, weil man nicht Deutsch ist und zu einem Problem gemacht wird. Eine Vergewaltigung mit 7 Jahren, tägliche Prügel von der Mutter und der anhaltende Fremdenhass, der gepaart mit den klassisch-grausamen Mobbing-Kämpfen unter Kindern und Jugendlichen zu noch mehr Hass, Wut und Ausgrenzung führt. 

Nachdem der Stiefvater stirbt und die Familie in eine Hochhaussiedlung in Kiel zieht, kann Ewa von einem komplett neuen Lebensgefühl berichten. Zum ersten Mal, fühlt sie sich auf Anhieb wohl und findet richtige Freunde, sie wird akzeptiert, verstanden und angenommen wie sie ist. Was sie und die Kids aus der Siedlung verbindet, ist die Erfahrung ausgestoßen zu sein. Sie gründen die Anti Potato Terror Organisation, kurz APTO und als eine deutsche Familie in den Block zieht, deren Sprösslinge zufälligerweise Ewa früher im Frauenhaus gemobbt haben, wandelt sich das Blatt - Tim und Tom bekommen von der APTO statt Versöhnung die volle Ladung Mobbing zurück. Die Kartoffeln werden gejagt, täglich in Müllcontainer gesteckt und die Rucksäcke auf den Baum geschmissen. Nachdem sich die Anzeigen wegen Diebstahl häufen und Ewa in eine sogenannte Kleptomanie-Therapie gesteckt wird, sagt Ewa über den Therapeuten: Er hat bei mir so viele Schäden entdeckt, dass er schließlich kapitulierte. So viel konnte er gar nicht reparieren.

Der heranreifende Entschluss Anschaffen zu gehen, liest sich aus den vorangehenden Beschreibungen des Leides als keine Überraschung. Ewa beschreibt ihre Entscheidung als hauptsächlich eine rationale und wirtschaftliche. Ich war bereit, die Sex-Sache dafür in Kauf zu nehmen. Ich wollte Geld verdienen. Ich wollte meine Familie ernähren. Ich wollte reich sein und raus aus dieser Scheiße, die mein Leben war. Leider mündet der Weg aus der Scheiße in einen regelrechten Kanalisations-Strudel. Die Wunden, die die Arbeit verursacht, lassen sich weder durch das Geld noch die Drogen heilen. Eines Tages findet sie von ihrer Mentorin Elise heraus, dass die Freier immer abgezockt werden müssen und nicht für 25 € das Paradies geschenkt werden soll. Von diesem Tag an war ich eine Stoltze Nutte geworden. Und von diesem Tag an war es nur noch ein Schritt, bis ich eine abgewichste Hure war. Ewa steht zu ihrem Beruf und würde die Geldprobleme von früher überwinden, aber das würde nicht automatisch dazu beitragen, dass sie respektiert und angenommen wird wie sie ist. Das setzt Ewa zu und lässt sie keinen Platz in der Gesellschaft finden.

Es ist schon schizophren. Zum einen wird in allen möglichen Talkshows immer wieder versucht, die Prostitution als „normalen“ Beruf anzuerkennen. Man bekommt eine Sozialversicherungsnummer, das Arbeitsamt hilft bei der Vermittlung, es gibt sogar eine Art Gewerkschaft für Nutten. Alles, um das „älteste Gewerbe der Welt“ zu normalisieren. Aber die Realität ist: Wenn du eine Nutte bist, bist du eine Nutte. Die Leute scheißen auf dich. Du bist in der sozialen Hierarchie das unterste Glied. Sogar Dealer haben ein besseres Standing.

Die vom Gangster-Rap Freund Giwar alias XATAR aus dem Knast heraus konzipierte und designte Musikkariere bringt Ewa zwar Fame und hält der Gesellschaft den Doppelmoral-Spiegel vor, doch Geld lässt sich damit keines verdienen oder zumindest nicht so viel wie mit Prostitution. Ewa will nicht mehr selbst anschaffen und entschließt sich parallell zur Musikkariere eine Escort-Firma zu gründen und Mädchen zu managen, die Anschaffen wollen — ohne diese vorher anzumelden. Dass ihr daraus am Ende von der Staatsanwaltschaft Zuhälterei und Steuerhinterziehung vorgeworfen und sie angeklagt wird, lässt auf einen alternativen Lebensweg pessimistisch blicken. Ewa’s Leben scheint nach dem Lesen des Buches eine konstante Spirale zu sein, aus der einmal drin man niemals raus kommt. 

In dem Kontext ist es natürlich völlig naiv von Gerechtigkeit zu sprechen, aber ist es eigentlich fair, dass Menschen aus der „normalen“ Welt sich in die Welt des Rotlichtmilieus mit ihren eigenen Gesetzen die von Gewalt, Missbrauch und menschlichen Abgründen geprägt ist, begeben und bereichern, am Ende aber nicht zur Verantwortung gezogen werden? Warum steht am Ende des Tages Schwesta Ewa vor Gericht und wird nach Gesetzen der „nomalen“ Welt verurteilt, während die ganzen Arschlöcher (Freier, Polizisten, Zuhälter und wer noch alles drin steckt?) tagtäglich davon kommen. Diese Gedanken sind natürlich zu kurz gedacht, aber das Problem der Parallelwelten und deren Überschneidungen mit juristischen Konsequenzen bleibt.

Ich kann am Ende des Buches nur sagen, dass Ewa´s damaliges Aufkommen in der Musikszene mich ziemlich beeindruckt hatte. Den ständigen Anspruch an Gangsterrap, dass die Figur die all die Stories erzählt wirklich real ist und nicht auf pseudokriminell und Ironie macht, konnte sie auf eine wirklich einmalige Art 100-prozentig erfüllen. Endlich eine Frau, die nicht nur mit dem Arsch voller Scheine, fröhlich und verfügbar zum Takt in den ganzen Gangster-Deppen-Videos wackelt, sondern aus der Perspektive „einer Nutte“, wie Ewa vielleicht sagen würde, spricht. Die sinnlose Neider-Pedanten-Debatte, dass Ewa nicht singen kann oder, dass die Beats geklaut wurden, denke ich sind komplett verfehlt, da sie im Vergleich zu ihren Kollegen überhaupt etwas zu erzählen hatte und ihre Geschichte und die einmaligen Einblicke im Vordergrund stehen. War es aber am Ende vielleicht eben das Problem, dass Ewa einfach zu real ist und es keine Fortführung oder Variation der Geschichte gibt? Haben wir vielleicht insgeheim doch gehofft, dass hinter der Figur Schwesta Ewa, trotz Inszenierung eine Person steckt, die zwar über Prostitution spricht, aber auch ein normales bürgerliches Leben führt? Kann aber wirklich das Märchen geglaubt werden, dass es möglich ist einfach so über Nacht aus dem Rotlichtmilieu auszusteigen, weil der erste Rap-Clip auf YouTube Clicks und Sichtbarkeit generiert?

Trotz all der ernüchternden und grausamen Erzählungen, ist es erstaunlich, dass Ewa den Humor nicht verliert. Ihre an Baron Münchhausen erinnernden, teilweise skurrilen Geschichten, wie zum Beispiel von der Schlange, die sich in einem Hohlraum ihres BMW eingenistet hat und dort 8 Wochen bis zu ihrem Tod gelebt hat. Oder wie sie einem Truckerfahrer einen Kugelschreiber ins Auge rammt, weil die vereinbarte Nummer plötzlich schief geht und sie ihr Leben retten muss. Oder all die Stories der ganzen Freier-Freaks mit all ihren Perversionen und sexuellen Vorlieben: Der Fat-Shui, Der Hammer-Willy, der Party-Jonas oder der Dr.Josef mit seinem kannibalistischen Fetisch, der dann bei den nächsten Kommunalwahlen von den in der Stadt verteilten Plakaten dämlich und erhaben drein grinst. Ewa´s Enthüllungen geben einen einmaligen Einblick in das Rotlichtmilieu, welches wir tagtäglich nicht in unseren Köpfen auf dem Tacho haben, während der Betrieb samt seiner Gesetze stets weiter läuft. Das Buch kann ich auf jeden Fall trotz der umstrittenen Persönlichkeit Schwesta Ewa empfehlen, vielleicht regt es ebenfalls ein paar weitere Leser:innen zum Denken an.

Schwesta Ewa: „Enthüllungen, das Leben fickt am härtesten“ Riva-Verlag, 208 Seiten, 19,99 Euro.

Der Text wurde am 16.01.2021 bei KVTV Texte veröffentlicht und von Sonja Yakovleva geschrieben.**